Trotz Ungeduld, Zu Früh zur Aufhebung der COVID-19-Beschränkungen
Von meiner Facebook-Seite Michael Laitman 19.04.20
Wir haben das Coronavirus nicht besiegt. Wir wissen zu wenig darüber, wie es funktioniert, wie es übertragen wird und welche Schritte wir unternehmen können, um die Beschränkungen zu lockern, ohne einen erneuten Ausbruch zu entfachen. Gleichzeitig müssen wir uns natürlich mit lebensnotwendigen Gütern wie Lebensmitteln und anderen Grundnahrungsmitteln versorgen und deshalb können wir die strikten Beschränkungen nicht mehr länger aufrechterhalten. Es ist ein schwieriges Dilemma: Die Regierungen versuchen, sich für das geringste Übel zu entscheiden, aber keine Option ist gut. Wenn die Beschränkungen gelockert werden, sollten wir, die Bürger, besonders vorsichtig sein, da wir diejenigen sind, die den Preis dafür bezahlen werden.
Das Problem mit dem neuartigen Coronavirus besteht darin, dass seine Auswirkungen weit über die ausgelöste medizinische Krise hinausgehen. Sie reichen sogar weit über den der ahnungslosen Welt auferlegten wirtschaftlichen Zusammenbruch hinaus.
Die Auswirkungen des Coronavirus sind in erster Linie sozialer Natur: Sie lösen das ganze gesellschaftliche Gefüge auf. Die vorgeschriebene soziale Distanzierung schafft eine emotionale Distanz. Einsamkeit und Depression nehmen zu, ebenso wie auch häusliche Spannungen, die zu Gewalt führen. COVID-19 hat unsere Körper krank gemacht, aber auch unsere emotionale Distanz zueinander offenbart.
Soziale Distanzierung ist für unsere postmoderne Gesellschaft nichts Neues. Wir beklagen seit langem die Entfremdung, die durch unser Eintauchen in die sozialen Medien über unsere Handys hervorgerufen wird, wodurch wir die soziale Kommunikation mit unseren Freunden und unserer Familie in der realen physischen Welt vernachlässigen. Doch solange wir physisch in der Nähe sein konnten, konnten wir uns einreden, dass wir nicht wirklich voneinander weit weg sind. Jetzt, da wir physisch getrennt sind, suchen wir nach der Nähe in unseren Herzen, nur um festzustellen, dass dort nichts derartiges vorhanden ist. Das ist der schmerzhafteste Teil des Virus: Die Offenbarung, dass wir ganz allein sind, dass unsere Herzen leer sind und dass die Herzen derer, von denen wir dachten, sie würden uns lieben, genauso leer sind.
Die Wahrheit würdigen
Die Wahrheit tut weh, das tut sie immer. Allerdings tut jede Heilung weh. Es ist unmöglich, etwas zu reparieren, wenn wir nicht wissen, dass es kaputt ist. Jetzt wissen wir, dass unsere Verbindungen zerbrochen sind. Die instabilen Fäden, die sich noch gegen die durch die sozialen Medien verursachte Isolation gewehrt haben, sind gerissen. Das dabei entstandene herzzerreißende Geräusch zwingt uns zur Erkenntnis, dass wir ganz allein sind. Von hier aus, jetzt, da wir uns ganz unten befinden, können wir beginnen, aufzusteigen. Von hier aus können wir damit beginnen, eine neue und solide Gesellschaft aufzubauen. Die Wahrheit tut weh, aber sie spielt eine wesentliche Rolle, wenn wir in einem gesunden Körper, einem gesunden Verstand und einer gesunden Gesellschaft leben wollen.
Wenn wir das Beste aus der uns widerfahrenen Tortur machen wollen, dann dürfen wir keine Minute verlieren. Wir müssen etwas über die neue Welt lernen, die zum Vorschein gekommen ist. In der neuen Welt ist Reichtum bedeutungslos, da man ihn nicht zur Schau stellen kann. Eine Karriere ist wertlos, wenn so viele Menschen arbeitslos die Zeit zu Hause verbringen oder überhaupt nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt tätig sind. Machtpositionen sind ebenfalls bedeutungslos, wenn so viele Menschen von Zuhause arbeiten oder überhaupt nicht mehr arbeiten.
Was bleibt uns? Wir haben einander. Wir haben unsere Familie und wir haben unsere Freunde. Sie leben mit uns zu Hause oder sind nur einen Anruf weit entfernt. Das Virus hat uns alles weggerissen, außer die Dinge, die wirklich wichtig sind. Erst jetzt, da wir von den Ablenkungen befreit worden sind, können wir sie wirklich sehen.
Das Virus ist nicht hier, um die Menschheit zu vernichten. Es ist aufgetaucht, um uns zu zeigen, was wir jahrzehntelang verpasst haben und was wir so lange übersehen haben. Wir haben vergessen, dass sie hier sind: unsere geliebten Menschen.
Das Virus gibt uns gerade genug Nähe, um unsere Verbindungen wiederaufzubauen, und zwar auf der Grundlage gegenseitiger Fürsorge und gegenseitiger Verantwortung. Zur gleichen Zeit hält es uns auf genau der richtigen Distanz, um zu verhindern, dass wir erneut in die Grube der Ausbeutung und der Machtkämpfe fallen.
Das neuartige Coronavirus ist ein unnachgiebiger Lehrer, aber wir waren bisher ungehorsame Schüler. Je mehr wir mit dem Virus zusammenarbeiten, desto sanfter wird es uns gegenüber sein. Der Vater meines Lehrers, Baal HaSulam, schrieb, die Natur sei wie ein geschickter Lehrer, der uns entsprechend unserer Entwicklung bestraft. Seien wir weise genug, die Hinweise der Natur zu verstehen, um unsere Gesellschaften auf unterstützenden und positiven Verbindungen zu gründen. Damit zwingen wir die Natur nicht dazu, uns härtere Vergeltungsmaßnahmen zu erteilen.
Diesen Beitrag drucken