Kabbala und der Sinn des Lebens - Michael Laitmans persönlicher Blog

Ein Jom-Kippur-Gebet, das erhört werden wird

In Bezug auf Gut und Böse: „Ganz gleich, wie wir uns verhalten oder wo wir sind, am Ende werden wir irgendwie davonkommen, weil Gott gut und gütig zu seinem Volk ist“. Das ist das übliche jüdische Kalkül für Jom Kippur, dem Tag der Buße.

Kurz und bündig gesagt: Überlegt euch das gründlich, denn das ist reiner Unsinn. Unsere „Sonderbehandlung“ resümiert in Wahrheit in ständigen Schlägen, die uns ständig zu einer tiefgreifenden Erforschung unseres egozentrischen und schädlichen Verhaltens gegenüber anderen drängt. Bereits das Eingeständnis unseres unkorrigierten Zustandes ist ein großer Schritt hin zum wahren Gebet, das wir benötigen – zu einem, das zur Vergebung und Erlösung führt.

Aber was ist ein wahres Gebet? Es ist ein innerer Prozess der Selbstprüfung, der zur Erkenntnis führt, dass man ein Problem damit hat, seine egoistischen Verlangen und Handlungen zum Selbstnutzen, auf Kosten anderer, rechtfertigen zu können. Mit diesen Eigenschaften wurde jeder von uns erschaffen und von Geburt an damit ausgestattet. Um uns also darüber zu erheben und wirklich rücksichtsvoll anderen gegenüber zu sein, müssen wir den Schöpfer um Hilfe, um Korrektur, anrufen.

In diesem Jahr bietet die Coronavirus-Pandemie eine besondere Gelegenheit für ein solches Flehen. Unsere schlimme Notlage wirkt als Hilfe gegen uns, indem sie unserem Aufruf zusätzliche Dringlichkeit verleiht. Die Einschränkungen durch die Gemeinde können unser Gebet in seiner Essenz und Wirksamkeit nicht beeinträchtigen. Die physische Verbindung hat nichts mit dem zu tun, was im Herzen passiert – dem spirituellen Ort, an dem das Gebet stattfindet.  Anstatt als Hindernis für unsere Verbindung zu stehen, wird die physische Trennung die wahre Entfernung zwischen uns, die großen Lücken und die Trennung zwischen unseren Herzen offenbaren.

Durch die leidvollen Probleme unserer Zeit werden wir vielleicht endlich herausfinden, worum wir bitten sollten. Wenn wir zu einer solchen Einsicht gelangen, wird die gegenwärtige Krise eine unschätzbare Hilfe für uns sein.

Wie geschrieben steht: „Es gibt keinen glücklicheren Moment im Leben eines Menschen als jenen, in dem er entdeckt, wie absolut machtlos er ist und den Glauben an die eigene Kraft verliert, da er alle ihm möglichen Anstrengungen unternommen, jedoch nichts erreicht hat. Genau in diesem Moment, diesem Zustand, ist er für ein vollkommenes und klares Gebet an den Schöpfer bereit.“( Kabbalist Rav Yehuda Ashlag, Pri Hacham: Igrot Kodesh)

Wir müssen beten, um die Wunden zu heilen, die wir einander in unserem täglichen Leben zufügen, wenn wir jeden und alles um uns herum mit Missachtung und Rücksichtslosigkeit behandeln und nur unsere persönlichen Ziele gegen das Gemeinwohl verfolgen.

Die tatsächliche Sünde liegt somit darin, dass man nicht wissen will, was seine Sünde ist, wie man anderen schadet. Genau das ist die Sünde. Denn wenn man es gewusst hätte, dann wäre einem klar gewesen, dass man sich an den Schöpfer wenden und ihn um Korrektur hätte bitten sollen. In unserem gegenwärtigen Zustand der Unwissenheit können wir die wirkliche Situation, in der wir uns befinden, nicht erkennen. Wir glauben nicht, dass unsere Eigenschaften und Handlungen wirklich so schlecht sind.

Die Sünde besteht darin, dass man sein wahres Übel nicht offenbart, es nicht sich selbst zuschreibt und sich weigert zu glauben, dass man sich ändern muss. Man bittet nicht darum, andere lieben zu können, jedem zu helfen und sich selbst auch nur ein wenig für die Menschheit zu opfern. Man denkt nicht einmal daran. Die Erkenntnis, zu der wir überhaupt erst kommen müssen, ist also, dass dies unsere Sünde ist, und dies sollte der Ort echter Reue in unseren Herzen sein.

In unserer globalisierten Welt wird es jeden Tag deutlicher, dass die Menschheit immer mehr miteinander verbunden und voneinander abhängig ist. Alles ist in Wirklichkeit so eng miteinander verflochten, dass, selbst wenn man niemandem aktiv Schaden zufügt, das nicht bedeutet, dass man kein Übel verursacht hat. Auch durch die Unterlassung, Gutes zu tun, richtet man  Schaden an. Auch unsere Untätigkeit gilt als unsere Verfehlung. Anstatt also die Welt, müssen wir zuerst uns selbst in Ordnung bringen und lernen, wie wir anderen als Vorbild dienen können.

Gerade an diesem Jom Kippur, an dem wir mit einer mächtigen Plage der Natur in Form des Coronavirus zu kämpfen haben, können wir letztlich zur Erkenntnis kommen, dass wir durch sie zu einer tiefgreifenden Selbstreflexion gelangen. Wir werden erkennen, dass ein wahres Gebet nicht im Ablesen von Versen, sondern ein tiefes Hinterfragen unserer selbst bedeutet, das uns einer ehrlichen Bitte um Einheit als unser letztendliches Ziel näher bringt.

Mögen wir alle wahre Verbindung unserer Herzen erreichen und im Buch des Lebens für ein gutes Jahr eingeschrieben und besiegelt sein!


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